Berührungsstrom

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E-Jens
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Berührungsstrom

Beitrag von E-Jens »

Hallo,

laut VDE 0701 und VDE 0702 ist der Berührungsstrom mit 0,5 mA festgelegt.
In den beiden Normen gibt es keine Unterscheidung, ob das leitfähige Teil in der Hand gehaltenen oder zufällig berührt wird. Nun macht es in der Praxis aber einen Unterschied wenn ich ein leitfähiges Teil fest anfasse oder wenn ich es zufällig und kleinflächig berühre.
Es geht um Steckvorrichtungen einer Kleinspannungsquelle, die wenn diese nicht genutzt werden, berührbar sind.
Gibt es Normen in denen zwischen gehaltenen Teilen und zufällig berührten kleinen Teilen unterschieden wird?
Gruß Jens
breadley-dr
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von breadley-dr »

Hallo,

diese Normen machen da keinen Unterschied, weil es ja keine Konstruktionsnormen sind. Um das zu Verstehen solltest dir dir mal beispielsweise den beschreibenden Abschnitt der IEC 61010 / VDE 411 anschauen. Für den Hersteller gelten Berührungsströme erst dann als gefährlich, wenn diese „Spannungsquelle“ einen vorgeschriebenen Wert überschritten hat. Sonst würde ja eine 1.5 V Batterie schon als gefährlich gelten, denn diese produziert ja einen Berührungsstrom von 0.75 mA dc gegen Erde, wenn man sie einseitig an PE hält.

Bis denne
DBY656
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von DBY656 »

Hallo E-Jens,

das in der Praxis oftmals auftretende Problem ist eine Spannungsverschleppung durch Y-Kondensatoren, welche aus EMV-Gründen zwischen Primärseite und dem Massekontakt auf der Sekundärseite geschaltet sind. Dieser Massekontakt ist dann wiederum mit dem Gehäuse des zu betreibenden Gerätes verbunden. So kann dann z.B. am Gehäuse eines USB-Hub ohne Erdkontakt die halbe Netzspannung anliegen.

Gruß Markus
Probator
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von Probator »

DGUV Information 203-070 schreibt zu diesem Thema:


7.3 Arbeitsmittel mit berührbarem sekundären Spannungsausgang
Enthält das Arbeitsmittel berührbare aktive Teile von Kleinspannungsstromkreisen,
z. B. die nicht isolierten Polklemmen an Batterieladegeräten oder dem großflächig
(≥ 10 mm²) berührbaren Stecker
eines Netzteiles o. Ä., müssen zusätzliche Messun-
gen durchgeführt werden (siehe Abschnitt 3.5.8).
Wenn eine einfache Berührung mit den Fingern möglich ist, z. B. an Rundsteckern
von Netzteilen für Notebooks, oder Kontakte in Ladeschalen von Akkus für Akku-
werkzeuge, ist das Messen des Berührungsstroms durchzuführen.
Ich persönlich prüfe definitiv den Außenring eines Netzteil-Steckers oder USB-Ladegeräts.

Die Pins im Inneren sind nur schwer berührbar und haben eine winzige Oberfläche.
Was mit der Prüfspitze kaum zu erreichen ist, ist auch fingersicher.

ISO-Messung mit 500V wird selbstverständlich gemacht.
Es gibt insbesondere bei USB-Ladegeräten unglaublich viel gefährlichen Schrott auf dem Markt!

http://www.baua.de/de/Produktsicherheit ... nbank.html

https://lygte-info.dk/info/ChargerIndex%20UK.html
E-Jens
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von E-Jens »

Hallo,

1,5 V DC erzeugen keine 0,75 mA Stromfluss durch den menschlichen Körper. Das kann man ganz leicht selber mit einem Multimeter messen.
Der menschliche Körper ist ein spannungsabhängiger Widerstand. Bei geringen Spannungen ist der Widerstand recht hoch. Also der Stromfluss sehr gering. Auch die Berührungsfläche und Feuchtigkeit spielen eine Rolle.
Die 1,5 V Zelle ist nach VDE 0702 eine Spannungsquelle in Schutzklasse III und braucht daher nicht geprüft werden.

Aber eigentlich hat breadley-dr mit seinem Vergleich einen Punkt gefunden, der das Problem sehr gut beschreibt und der bei Prüfungen Probleme machen könnte.
Es können z.B. Datensignale oder eine Messspannung für die Funktion sein.
Die Ladegeräte sind ein wenig größer. Die kleinesten haben 1 kW und 30 kW sind schon möglich. Dementsprechend groß sind die Stecker und die Pins sind berührbar.
Die VDE 0701 und 0702 berücksichtig nicht, wenn an den Kontakten des Ladesteckers z.B. nur 1,5 V gegen Erde anliegen. Es wird stumpf der 2 kOhm Widerstand angelegt und gemessen wie viel Strom fließt. Das sind bei 1,5 V die genannten 0,75 mA. Damit ist das Gerät bei einer Prüfung nach VDE 0701 oder VDE 0702 durchgefallen, obwohl es mit einer Berührungsspannung von 1,5 V einen wesentlich geringeren Stromfluss durch den menschlichen Körper erzeugt und damit ungefährlich ist.
Bis 25 V AC gegen Erde sollte meiner Meinung nach für Steckvorrichtungen an denen die Kontakte nur durch Zufall berührt werden können kein Problem darstellen.

Normativ habe ich aber nichts gefunden, welche das Thema behandelt.
Gruß Jens
Probator
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von Probator »

E-Jens hat geschrieben: Dienstag 5. März 2024, 20:37Die 1,5 V Zelle ist nach VDE 0702 eine Spannungsquelle in Schutzklasse III und braucht daher nicht geprüft werden.
Völlig richtig.

Ein Netzteil ist aber eine Kombination aus mehreren Schutzklassen (was es normativ gar nicht zu geben scheint).

Der Kleinspannungsausgang ist SK3, wie bei der 1,5V Batterie.
Man kann/soll die Höhe der Spannung messen, ob Sie tatsächlich so hoch ist, wie auf dem Typenschild angegeben. Damit ist die Sicherheit der Schutzklasse 3 bewiesen.


Hinzu kommt aber der große Unterschied eines Netzteils zur Batterie:
Die Sekundärseite (SELV oder PELV) wird von einer höheren Netzspannung (z.B. 230V/400V) gespeist. Das bedeutet in meinen Augen, dass berührbare Metallteile auf der Sekundärseite nicht nur SK3 sind, sondern auch eine saubere Isolation zur Primärseite haben müssen. In anderen Worten:
diese berührbaren Metallteile sind zusätzlich auch Schutzklasse 2.

Das konnte man bei früher bei simplen Trafos mit einer einfachen ISO-Messung beweisen. Heute haben wir aber meist Schaltnetzteile, da ist die ISO-Messung nicht mehr ausreichend, weil die Transistoren/MosFETs/IGBT/... ohne Netzversorgung gar nicht durchschalten. Daher zusätzlich zu ISO auch eine Berührstrom-Messung.
Such-Stichwort "netzspannungsabhängige Schalteinrichtungen".
E-Jens
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von E-Jens »

Ja, die Berührungsstrommessung „ersetzt“ die Isolationsprüfung der galvanischen Trennung bei Schaltnetzteilen. Nur stellt sich mir aktuell die Frage, ist es wirklich schlecht, wenn dort ein Berührungsstrom von 1mA festgestellt wird. Oder sollte man bei einem zu hohen Berührungsstrom zusätzlich die Spannung gegen Erde messen. 2 V sind ja kein Problem. So lange diese durch Schirmung oder Messeinrichtungen entstehen aber nicht durch eine fehlerhafte galvanische Trennung. Bei einer fehlerhaften galvanischen Trennung wäre die Spannung an den unbelasteten Kontakten auch wesentlich höher.
Gruß Jens
breadley-dr
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von breadley-dr »

E-Jens hat geschrieben: Dienstag 5. März 2024, 21:37 Oder sollte man bei einem zu hohen Berührungsstrom zusätzlich die Spannung gegen Erde messen.
Hallo,

du hast Recht. Bei der Bewertung des Berührungsstromes muss die Spannung beachtet werden. Schau mal in die VDE 411-1, Abschnitt 6.3. Dort steht sinngemäß, das ab 30 V RMS ac oder ab 60 V dc als gefährlich betrachtet werden, wenn sie einen Strom von größer 0,5 mA RMS ac oder 2 mA dc erzeugen. Das bedeutet, das die zulässigen Werte für den Hersteller größer sind als in der VDE 0701 / 0702. Wiederholungsprüfungsnormen sind nur Kompromisse um Prüfern das Leben zu vereinfachen.

bis denne
E-Jens
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Re: Berührungsstrom

Beitrag von E-Jens »

Danke euch allen,
es hat mir sehr geholfen.
dank1
Gruß Jens
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